Am 31.3. und 1.4.2022 fand Episode 1 des #Gesundheitsdatengipfel2022 (insbesondere veranstaltet vom Hauptstadtkongress Lab) als digitales Dialogevent statt. Die Veranstaltung widmete sich einem der brennendsten Themen aus dem Bereich des digitalen Gesundheitswesens: „Gesundheitsdatenschutz vs. Gesundheitsdatennutz“. Die Relevanz eines wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Austauschs hierzu kann angesichts von Herausforderungen wie der Pandemie, aber auch anstehender datenpolitischer Vorhaben der Bundesregierung und der Europäischen Union (z.B. Europäischer Datenraum) kaum überschätzt werden. Auf dem #Gesundheitsdatengipfel2022 hielten auch Center for Digital Public Services (CDPS)-Direktor Professor Dr. Dirk Heckmann und Professorin Dr. Anne Paschke, Leiterin des Rechtswissenschaftlichen Instituts der TU Braunschweig und CDPS-Gastwissenschaftlerin, jeweils einen Vortrag.
Prof. Dr. Anne Paschke zeigte in ihrer Keynote mit dem Titel „Gesundheitsschutz braucht Daten“ zunächst die Bedeutung von Gesundheit als zentrales Anliegen der gesamten Menschheit auf. Gesundheit sei grundlegendes Existenzbedürfnis, bedeute aber auch Sicherheit. Gleichzeitig nehme aber die Bedeutung der Datennutzung immer mehr zu. Im Zentrum der Begriffe Digitalisierung, Digitale Transformation und Digitale Disruption stehe stets die Nutzung von Daten. Das Fehlen von Gesundheitsdaten habe sich unlängst vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie als wesentliches Hindernis beim Gesundheitsschutz herausgestellt.
Die wichtige Bedeutung von Gesundheitsdaten für das Gemeinwohl, aber auch deren hohen wirtschaftlichen Wert habe man nun auch auf politischer Ebene erkannt und etwa in der zukunftsweisenden Datenstrategie der letzten Bundesregierung bedacht. Auch die Ampel-Koalition greife diese Bedeutung mit der Forderung nach einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf und auf europäischer Ebene werde die Nutzung solcher Daten immer stärker gefordert und gefördert. Wie unsere Gesellschaft mit Gesundheitsdaten umgehen soll, wie sie zur Gesundheitsvorsorge, als Grundlage für ärztliche Behandlung und die Entwicklung von besseren Diagnosemöglichkeiten, Therapien und Medikamenten genutzt werden können; das gehöre zu den großen Fragen der Menschheit. Klar sei aber, dass die Nutzung von richtigen Daten, zur richtigen Zeit, auf richtigem Wege Menschleben retten könne.
Für die derzeit noch mangelhafte Nutzung von Daten zum Zwecke des Gesundheitsschutzes gebe es derzeit mehrere Gründe. Dass der Datenschutz dem entgegenstehe, sei aber jedenfalls nur ein Narrativ. Das ergebe sich schon aus einer simplen Grundrechtsabwägung, die den Schutz der informationellen Selbstbestimmung dem Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit gegenüberstellt. Dem Staat komme demzufolge auch eine Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit zu, die an verschiedensten Stellen des Datenschutzrechts umfangreiche Berücksichtigung finde. Ein Defizit bei der Wahrnehmung dieser staatlichen Schutzpflicht ließe sich allenfalls auf eine fehlerhafte Datenschutzpraxis zurückführen. Verfassungsrechtlich fragwürdig erschienen dabei insbesondere Warnungen von Datenschutzbehörden vor der Nutzung bestimmter Technologien, wie etwa Videokonferenzsystemen oder Cloud-Diensten. Die hierbei erforderliche Abwägung mit den Grundrechten, deren Schutz solche Technologien fördern könnten, unterbliebe dabei zum Teil. Ein tatsächliches Hindernis bei der Nutzung von Gesundheitsdaten finde sich vor allem in der noch unzureichenden Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland, insbesondere fehle es dabei an Vernetzung und Interoperabilität. Schließlich bedürfe es auch einem neuen Verständnis von Digital- und Datenkompetenz, die es unter Einbeziehung aller Akteure zu etablieren gelte. Denn gerade von deren Mitwirkung lebe das Gesundheitswesen.
In einer ihrer abschließenden Thesen stellte Prof. Paschke fest: Es verletze das verfassungsrechtliche Untermaßverbot, wenn der Staat nicht alles technisch Mögliche, wirtschaftlich Zumutbare und Gemeinwohlverträgliche unternehme, um seiner Schutzpflicht für Leben und Gesundheit nachzukommen. Dazu zähle auch die umfassende Erhebung und Nutzung von Gesundheitsdaten.
Prof. Dr. Dirk Heckmann beteiligte sich mit einem Keyimpuls zum Thema „Datenrecht statt Datenschutz. Kein Grundrechtsschutz ohne (Gesundheits-)Datennutzung“. Ausgehend von dem immer wieder von verschiedenen Stellen geäußerten Vorwurf, dass „der Datenschutz schuld sei“ (z.B. #TodDurchDatenschutz) und eine gänzlich neue Interessenabwägung erforderlich sei, zeigte er im Folgenden auf, dass „der Datenschutz“ an sich an solchen Miseren gar nicht schuld sei und der Fehler darin liege, dass häufig überhaupt nicht abgewogen werde, obwohl eine Abwägung möglich und verfassungsrechtlich geboten sei.
Aufgrund der unzulänglichen Nutzung von digitalen Gesundheitsdaten werde einerseits unnötiges Leid bei Patienten verursacht und gleichzeitig der drohende Kollaps des Gesundheitswesens sehenden Auges in Kauf genommen. Diese Einstellung laufe dem Grundsatz evidenzbasierter Politik zuwider und verstoße überdies gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot. Prof. Heckmann zeigte auf, dass das Datenschutzrecht als Rechtsordnung, die nicht zum Schutz der Daten, sondern zum Schutz der Menschen bestimmt sei, als Gestaltungsfaktor des digitalen Lebens erforderlich sei. Gleichzeitig bedürfe es aber auch eines Rechts der Datennutzung, denn Datennutzung sei grundlegend in einer digitalen Gesellschaft, um etwa eine effektive Gesundheitsversorgung und eine innovative Gesundheitsforschung zu ermöglichen. Die Nutzung von Daten habe sich zu einer Grundrechtsausübungsvoraussetzung entwickelt. Hieraus folgerte Prof. Heckmann, dass die Abwägung von Chancen und Risiken der Datennutzung neu vorzunehmen sei. Aufgrund der Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen dürfe der informationellen Selbstbestimmung kein allgemeiner Vorrang eingeräumt werden. Es bedürfe eines Datenrechts statt eines Datenschutzrechts.
In Bezug auf die behördliche Rechtspraxis wies Prof. Heckmann darauf hin, dass sich Datenschutzaufsichtsbehörden stets vergegenwärtigen sollten, dass sie auch als Fachbehörde an alle Grundrechte gebunden seien und deshalb im Rahmen des Abwägungsvorgangs Risiken für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zum Schutz eines anderen Grundrechts (z.B. Gesundheitsschutz, Recht auf Bildung) auch in Kauf nehmen dürften. Die „schrankenlosen“ Aufsichtsbehörden sollten sich ihrer großen Verantwortung bewusst sein und besser auf die Missbrauchsabwehr konzentrieren.